Interview mit dem hessischen Justizminister Christian Heinz

Der neue Hessische Justizminister Christian Heinz steht dem Richterbund Rede und Antwort zum Thema eAkte und Digitalisierung der Justiz sowie zu seinen Plänen für die laufende Legislaturperiode.

Herr Justizminister Heinz, zunächst möchten wir Ihnen herzlich zur Ernennung zum Hessischen Justizminister gratulieren. Damit unsere Leserinnen und Leser Sie besser kennenlernen: Welche Punkte sind die wichtigsten aus Ihrer persönlichen und beruflichen Vita?

Ich bin verheiratet, 47 Jahre alt und habe drei Kinder. Seit 13 1/2 Jahren bin ich Rechtspolitiker und seit fünf Wochen Minister, davor war ich seit dem 02.09.2010 Landtagsabgeordneter. Begonnen habe ich als Landesbeamter, zuletzt im Hessischen Innenministerium. Im Rechtsausschuss haben mich die Justiz-Themen von Anfang an begleitet, zumal ich fünf Jahre lang rechtspolitischer Sprecher meiner Fraktion war. Davor war ich Vorsitzender des Rechtsausschusses des Landtages.

In Ihrer beruflichen Laufbahn sind Sie bereits intensiv mit dem Gesetzgebungsverfahren und juristischen Themen befasst gewesen; in der Justiz selbst waren Sie jedoch nicht tätig. Wie beabsichtigen Sie, mit den Angehörigen der Justiz in Kontakt zu treten und die Probleme der Richter- und Staatsanwaltschaft im Blick zu behalten?

Schon in der Anfangszeit als Minister habe ich einige Besuche an den Gerichten absolviert und dabei nicht nur die Präsidenten getroffen, sondern auch die Vertreter des Richterrats und des Personalrats sowie die Gleichstellungs- und die Schwerbehindertenbeauftragten. Jetzt stehen auch Gespräche mit den Interes- senverbänden an, natürlich zunächst mit dem Richterbund als maßgeblicher Vertretung der Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Hessen. Es stimmt, ich selbst war zwar nie Richter; das verbindet mich aber mit fast allen meinen Vorgängern, genauso wie Verteidigungsminister meistens keine Generäle waren, sondern höchstens Wehrpflichtige.

Die Koalition hat sich dazu entschlossen, das Justizministerium fortan auch als Ministerium für den Rechtsstaat zu bezeichnen. Welche konkreten Veränderungen ergeben sich daraus? 

Ein starker und funktionierender Rechtsstaat ist von zentraler Bedeutung für unser Gemeinwesen und unsere Demokratie. In Hessen haben wir in den vergangenen Jahren mit dem „Pakt für den Rechtsstaat“ schon eine personelle Stärkung unserer Justiz auf den Weg gebracht. Diesen Weg wollen wir konsequent weitergehen. Darüber hinaus werden wir Gefährdungen des Rechtsstaates – in welcher Form auch immer – identifizieren und ihnen mit den erforderlichen Maßnahmen entgegentreten.

Welche konkreten Initiativen und Gesetzesvorhaben beabsichtigen Sie in der laufenden Legislaturperiode auf den Weg zu bringen?

In den fünf Jahren haben wir sehr viel vor. Kurzfristig werden wir als erste rechtspolitische Initiative aus Hessen einen Gesetzesentwurf zur IP-Adressen-Speicherung in den Bundesrat einbringen. Da seit über einem Jahr durch die Rechtsprechung des EuGH Klarheit besteht und sich die Ampel nicht einigen kann, werden wir dazu einen Anstoß aus Hessen geben. Wir werden zudem auch kurzfristig ein Innovationsforum für künstliche Intelligenz auf den Weg bringen. Es gibt schon einige gute Ansätze, z. B. am Amtsgericht Frankfurt am Main mit FraUKe. Das Thema wollen wir noch besser strukturieren. Das ist ein auf lange Sicht angelegter Prozess. Wir wollen schauen, was es in anderen Bundesländern und im Ausland an Initiativen gibt. Bisher gab es vor allem Einzelprojekte, aber das soll nun eine landesweite Struktur bekommen. Dafür wird es ein kleines Team hier im Haus geben, das alles zusammentragen soll.

Dann planen wir zum Beginn des Jahres 2025 die Gründung eines „Commercial Court“ am Oberlandesgericht Frankfurt am Main für erstinstanzliche Verfahren auf Englisch für Streitigkeiten zwischen Unternehmen mit einem Gegenstandswert von mindestens 1.000.000 € und wollen am Landgericht Frankfurt am Main eine „Commercial Chamber“ einrichten. Wir wollen, dass man das gesamte Verfahren auf Englisch führen kann und dabei zu den Ersten in Deutschland gehören. Dafür werden wir die Gerichte auch entsprechend ausstatten.

Auch an Baumaßnahmen steht viel an. Es ist seit Jahren ein Riesenthema, dass wir nicht genügend geeig-nete Verhandlungsräume haben. Hier müssen wir viel investieren. Relativ kurzfristig müssen wir einiges in die Videokonferenztechnik investieren. Es muss überall dort eine Videoverhandlung möglich sein, wo es die Richter für angemessen halten. Der gesamte Bereich der Videoverhandlung wird mehr Bedeutung bekommen. Ich teile aber auch die Skepsis des Richterbundes und anderer und bin der Auffassung, dass man die Richter nicht dazu zwingen sollte, per Video zu verhandeln. Insbesondere sollte man das richterliche Ermessen, wann eine Videoverhandlung gestattet werden kann, nicht dadurch einschränken, dass man aus der Kann- eine Soll-Bestimmung macht. Im Bereich der Besoldung wollen wir ebenfalls einen Schritt weiterkommen. Das betrifft alle Landesbediensteten. Für die Richter gab es bereits in der vergangenen Legislaturperiode deutliche Verbesserungen durch die Streichung der ersten beiden Erfahrungsstufen und das Vorziehen des Erreichens der höchsten Erfahrungsstufe.

Wir wollen auch im mittleren Dienst bei den Justizvollzugsbediensteten, wo die Personalgewinnung besonders schwierig ist, zeitnah die „Gitterzulage“ erhöhen. Generell stellt sich die Frage, wie sich die Unterstützung für die Richterinnen und Richter künftig gestaltet. Künstliche Intelligenz und Technik nehmen dem Personal immer mehr an Aufgaben ab. Im Hinblick darauf wird man sich auch die Berufsbilder der Zukunft anschauen müssen. Es wird vermutlich im Schnitt zu einer höheren Qualifikation kommen. Die Arbeit geht nicht aus, im Gegenteil. Es gab aber auch schon früher solche Umbrüche, beispielsweise als die Richter und Richterinnen dazu übergegangen sind, ihre Texte nicht mehr auf Band zu diktieren, sondern selbst – etwa mit Spracherkennungssoftware – anzufertigen. Mittlerweile ist die Spracherkennung ein etabliertes Verfahren.

Beim Thema eAkte wird es auch vorangehen. Zum 1. Januar 2024 ist das Landesarbeitsgericht umgestiegen. Der schwierigste Brocken liegt noch bei den Strafgerichten, weil wir da auch auf die Zulieferung durch die Polizei angewiesen und von Niedersachsen abhängig sind, das einen wesentlichen Baustein zuliefern soll. Das sind Verträge, die sind jetzt 11 bis 12 Jahre alt. Da kommen wir aber nicht mehr raus und es wäre auch nicht schneller, jetzt „die Pferde zu wechseln“.

Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass Gerichtsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden sollen. Es solle eine Anpassung des Deutschen Richtergesetzes vorgenommen werden, um die Besetzung der Spruchkörper flexibler zu gestalten. Welche konkreten Veränderungen sind beabsichtigt?

Das soll nach meiner Lesart nicht heißen, dass in den Kammern dann zwei Proberichter sind. Es soll inso- weit eine Flexibilisierung sein, dass möglicherweise ein Proberichter, ein Richter kraft Auftrags und der Vorsitzende in einer Kammer sein können.

Wie stehen Sie einer Reform der StPO, insbesondere der audiovisuellen Aufzeichnung der Hauptverhandlung, gegenüber?

Die audiovisuelle Aufzeichnung würde ich nicht gerade als Entlastung bezeichnen. Das taugt sicher nicht für einen Schnellschuss. Im Strafverfahren kann ich mir aber schon vorstellen, dass es schonend zu Veränderungen kommen wird, die dann aber auch sehr grundsätzlich sein müssen. Es erschließt sich nicht, warum man dort wirklich alles verlesen und vortragen muss. Das leuchtet vielen Strafrichtern auch nicht ein und kommt aus meiner Sicht aus einer Zeit, als es keine anderen Möglichkeiten gab, davon Kenntnis zu nehmen. Ich selbst würde mir wünschen, dass wir da vorankommen, aber ich weiß, dass es ein sehr dickes
Brett ist. Ich habe auch gehört, wie umfangreich inzwischen die Eingaben und Schriftsätze sowie die Beweismittel sind. Da stelle ich fest, dass wir einen sehr großen Reformdruck haben. Aber ich weiß auch, dass jeder Angriff auf das Mündlichkeitsprinzip immer sofort als Angriff auf das Rechtsstaatsprinzip angesehen wird. Wenn es dort aber zu einer Verbesserung kommen soll, wird diese aus den Ländern kommen müssen. Der Bund alleine hat bis auf die paar Bundesgerichte keine eigenen Richter. Von dort werden nur wenige konstruktive Vorschläge kommen. Jede zusätzliche Bürokratie, und dazu zähle ich auch die audiovisuelle Dokumentation der Hauptverhandlung, schadet da aber, weil sie als Zusatzbelastung empfunden wird, die wir gerade gar nicht brauchen können.

Ihr Vorgänger hat eine Initiative zu dem Umgang mit Massenverfahren an den Zivilgerichten im Bundesrat eingebracht. Findet diese Initiative ebenfalls Ihre Zustimmung und wenn ja, wie beabsichtigen Sie, die Reformen voranzutreiben?

Grundsätzlich kann ich mir das sehr gut vorstellen. Eine Abkürzung direkt zum Bundesgerichtshof könnte für mehr Rechtsklarheit sorgen. Dann wollen wir aber auch insbesondere weiterkommen bei den Werkzeugen, mit denen die Richter arbeiten können, damit die durch legal tech generierten großen Schriftsätze leichter zu ordnen sind. FraUKe, Codefy und OLGA sind da schon Beispiele.

Wollen Sie auch im Bereich des Prozessrechts weiter vorangehen, etwa beim Basisdokument
und dem strukturierten Parteivortrag? 

Man kann in der Tat auch daran denken, dass man die Parteien zwingt, ihre Schriftsätze gerichtsfreundlicher einzureichen. Das ist natürlich ein Spannungsfeld, weil die Parteien zu Recht sagen, es sei ihre Sache, wie sie ihre Schriftsätze gestalten. Aber die Idee einer besseren Strukturierung ist es grundsätzlich wert, weiter verfolgt zu werden. Die Justiz muss mit der allgemeinen Entwicklung des technischen Fortschritts Schritt halten können. Das kann bedeuten, dass man auch anders an das Prozessrecht herangehen muss, wenn die technische Entwicklung dies zur Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Justiz gebietet.

Ein Projekt, das die Justiz seit Längerem beschäftigt und auch zukünftig noch beschäftigen wird, ist die Einführung der eAkte. Wie sind die bisherigen Umsetzungsschritte angekommen?

Im Moment wird die eAkte eher als Mehrbelastung empfunden, insbesondere auf den Geschäftsstellen. Bei den Besuchen, insbesondere in der Fachgerichtsbarkeit, habe ich aber auch schon gehört, dass bei einigen Richterinnen und Richtern auch Zufriedenheit herrscht. In der Fachgerichtsbarkeit war die Einführung der eAkte auch einfacher als in der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Dort gibt es in Teilen auch durchaus ein hohes Maß an Zufriedenheit, da die Präsenznotwendigkeiten im Gericht abgenommen haben.

Gerade für jüngere Richterinnen und Richter ist dies attraktiv sowie für Richter mit längeren Pendelwegen, denn dort konnten Fahrtzeiten reduziert werden. Eine hohe Akzeptanz unter Richterinnen und Richtern gab es etwa beim VGH, weil deren Nachwuchs aus ganz Hessen rekrutiert wird und viele den Umzug nach Kassel scheuen. Dann ist es durchaus attraktiv, wenn man nur einen oder zwei Tage die Woche physisch vor Ort sein muss und mit der eAkte den Rest von Zuhause erledigt. Manche empfinden es aber auch als belastend, den ganzen Tag auf den Bildschirm zu schauen, insbesondere Menschen, die Probleme mit dem Sehen haben. Die Rückmeldungen sind also sehr unterschiedlich.

Im Koalitionsvertrag wird von IT-vor-Ort-Betreuern und der Erhöhung der Attraktivität dieses Berufsfelds gesprochen. Kann darunter professionelles IT-Personal verstanden werden? Wie soll geschultes IT-Personal gewonnen werden, um einen reibungslosen Arbeitsablauf zu etablieren?

Die Vor-Ort-Betreuung und der IT-Support sind ein Riesenthema. Da war die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung Fluch und Segen zugleich. Natürlich haben sich die Kollegen über eine höhere Vergütung gefreut, aber gleichzeitig hat die Bereitschaft, die Aufgabe der Vor-Ort-Betreuung zu übernehmen, deutlich abgenommen. Generell ist es so, dass Bedienstete in der Justiz nicht gleichzeitig auch geborene IT-Experten sind. Wenn man aber noch Fachleute dazu nimmt, nutzt das auch nur begrenzt, da diese wiederum nicht wissen, wie die Justiz funktioniert. Es ist ein ständiges Learning-by-Doing und hängt sehr davon ab, wie fit die Leute in den Gerichten sind.

Bei Fehlermeldungen wird kein – wie in der Softwareentwicklung üblich – automatisierter Informationsfluss in Gang gesetzt, sondern auf die Interaktion der User gesetzt. Diese bleibt jedoch
aus Gründen des bürokratischen Aufwands und Zeitmangels größtenteils aus. Es sind drei Sup-
portlevel vorgesehen (VOB, IT-Stelle und HZD), bis jemand mit Einblick in die Software mit einem
Problem befasst wird. Hat sich dieses Konzept Ihrer Ansicht nach bei der Etablierung und Verbesserung des Systems bewährt?

Das muss man sich anschauen. Das sind die ganz grundsätzlichen Fehler in der Software. Das ist auch nichts für die Vor-Ort-Betreuer im alltäglichen Betrieb. Wir wollen aber in jedem Fall daran festhalten, dass sich in den Gerichten anwesende Vor-Ort-Betreuer um die täglichen Probleme kümmern. Alles, was vor Ort lösbar ist, soll mit eigenen Leuten gelöst werden können. Neben den Fehlern in den Anwendungen selbst, die dazu führen, dass sich diese aufhängen, überlastet die Software auch die Serverkapazitäten und dann geht das System in die Knie. Wir sind derzeit noch in einer nicht immer glücklichen Übergangsphase. Ein Teil der anstehenden Investitionen ist genau auf die Ausweitung der Serverkapazitäten gerichtet.

In der vergangenen Legislaturperiode ist es gelungen, vermehrt Stellen für die Justiz zu schaffen und die Anzahl der Neueinstellungen zu steigern. Mittels welcher Initiativen beabsichtigen Sie, diesen Trend fortzusetzen?

Wir haben vieles schon gemacht. Angefangen hat es mit der besonderen Sensibilisierung aller AG-Leiter, dass diese aus ihrer Sicht geeignete Personen ansprechen und motivieren, sich für die Justiz zu bewerben. Dann haben wir die Justizassistenz eingeführt, um Referendaren parallel zum Referendariat einen Minijob in der Justiz geben zu können. Die „AssessorBrücke“ haben wir ebenfalls eingeführt und dieses Instrument wird auch schon sehr gut genutzt.

Der Wettbewerb wird aber absehbar schwer bleiben, da die Absolventenzahlen in den vergangenen 20 Jahren um circa ein Drittel zurückgegangen sind. Aus dem Grundproblem, dass die Babyboomer jetzt in Pension gehen, werden wir daher nicht herauskommen. Wir werden uns daher noch mehr bemühen müssen. Die Besoldung haben wir schon verbessert. Jetzt müssen wir die Arbeitszufriedenheit noch weiter erhöhen, um mit den technischen Möglichkeiten noch größere Freiheiten in der Arbeitsgestaltung zu erzielen. Von den Proberichtern hört man schon, dass eine geringere Präsenznotwendigkeit sehr gut ankommt. Vielleicht muss man die Justiz auch medial noch etwas mehr aus der Nische holen. Es gibt anders als bei der Polizei sehr wenige Formate, die den Fokus gezielt auf die Justiz legen, mal abgesehen von dem „Staatsanwalt“ Rainer Hunold, der aber jetzt auch in „Pension“ geht. Wir wollen auf jeden Fall mehr Nachwuchswerbung machen. Die Finanzverwaltung ist da zum Beispiel schon sehr viel sichtbarer als wir.

Wie stehen Sie zu einer möglichen weiteren Absenkung des Notenquorums?

Ausschließen kann man da fast gar nichts. Im Moment ist es so, dass wir mit den jetzigen Kriterien ganz gut fahren und auch absehbar und in der fernen Zukunft in der Lage sein werden, den Personalbedarf zu decken. Eine Absenkung der Kriterien kann immer nur Ultima Ratio sein, denn das wäre keine Werbung für die Justiz.

Die Gegebenheiten für den Arbeitseinstieg an hessischen Gerichten und Staatsanwaltschaften sind je nach Größe der Behörde, personeller Ausstattung und geografischer Lage sehr unterschiedlich. Welche Möglichkeiten sehen Sie als Justizminister, Berufseinsteigern den Start in der Justiz zu erleichtern?

Auf jeden Fall wird ein Ausbau der Supervision und des Mentorings kommen. Es wird zumindest einheitliche Empfehlungen in Form einer Handreichung geben, aber die Möglichkeiten, so etwas in einer größeren Regelungsdichte anzuordnen, sind sehr begrenzt. Wir können natürlich die Richterschaft nicht anweisen, wie sie mit ihren Kollegen zusammenarbeiten soll. Ein festes Stundenkontingent oder eine vergütete Tätigkeit für Mentorinnen und Mentoren ist derzeit nicht geplant.

Als große Belastung wird es häufig empfunden, dass der nicht-richterliche Dienst nicht als ausrei-
chend besetzt wahrgenommen wird. Wie kann es gelingen, insbesondere in hessischen Großstädten neben den signifikant besser zahlenden bekannten Konkurrenten (Kanzleien, Unternehmen) weiterhin Personal für die Aufgaben der Serviceeinheiten und Verwaltung zu gewinnen?

In der jüngeren Vergangenheit sind bereits einige wichtige Schritte zur Verbesserung der Personalsitua-  tion in den Serviceeinheiten der Gerichte erfolgt. Infolge der Umsetzung der BAG-Rechtsprechung wurden bzw. werden alle Tarifbeschäftigten in Serviceeinheiten in die EG 9a höhergruppiert. Ferner werden viel weniger Arbeitsverträge als früher befristet. Durch den Doppelhaushalt 2023/2024 wurden in beträchtlichem Umfang neue Stellen für die Justiz geschaffen, darunter allein 125 Stellen für die Serviceeinheiten der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Im nicht-richterlichen Dienst kommen diese Stellen ganz überwiegend leider erst dann an, wenn entsprechendes Personal ausgebildet wurde. Deshalb wurden die Ausbildungskapazitäten sowohl für den allgemeinen Justizdienst als auch für Justizfachangestellte erhöht. Diese Bemühungen müssen zukünftig fortgesetzt werden, um im Bereich der Serviceeinheiten die Arbeitsbelastung deutlich abzusenken und dadurch die Attraktivität dieser Arbeitsplätze zu erhöhen.

Derzeit führt die Einführung der elektronischen Akte vor allem zu einer vorübergehenden Mehrbelastung der Serviceeinheiten, perspektivisch wird sie aber die Arbeit dort erleichtern und auch für das Personal dort die Möglichkeiten zur Telearbeit deutlich verbessern. Sie sprechen zu Recht an, dass gerade im Ballungsraum Rhein-Main die Personalgewinnung für die Justiz in den Folgediensten zunehmend schwieriger wird. Mit Maßnahmen zur Verbesserung der Personalgewinnung hat sich der „Runde Tisch der Ausbildung in der hessischen Justiz“ – ein seit 2022 bestehendes Gremium unter Beteiligung der Personalvertretungen und unter Leitung von Frau Staatssekretärin Eichner – bereits in der Vergangenheit befasst und wird dies auch zukünftig tun. Auch werden wir prüfen, ob es Aufgaben gibt, die für die hessische Justiz außerhalb des Ballungsraums zentralisiert werden könnten.

Gibt es im Bereich der Besoldung schon Umsetzungspläne für den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht sich der Auffassung des VGH anschließt und eine nicht amtsangemessene Alimentation feststellt?

Das Hauptproblem ist der Mindestabstand in den unteren Besoldungsgruppen zur Grundsicherung. Das kann man am einfachsten dadurch lösen, eine weitere Stufe zu streichen. Man kann auch an eine Erhöhung der Familienzuschläge denken. Das Leistungsprinzip tritt dann gegebenenfalls etwas hinter den Alimentationsgedanken zurück. Da wird es dann etwas schwierig, aber die Gerichte haben das bisher gebilligt.

Herr Justizminister, wir danken Ihnen herzlich für
dieses spannende Interview.

Das Interview ist in der Ausgabe 1/24 der Hessischen Mitteilungen erschienen.

Das Interview führten
Evelyn Oehm und Dr. Johannes Schmidt.