Richterbund Hessen: Besoldungserhöhung um ein Prozent ungenügend

Der Hessische Richterbund hat am 23.6.2016 zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz über die Anpassung der Besoldung und Versorgung in Hessen 2016 (HBesVAnpG 2016) – Drucks. 19/3373 wie folgt Stellung genommen:

 

Der Hessische Richterbund hält die geplante Erhöhung der Besoldung und der Versorgungsbezüge um ein Prozent ab 1. Juli 2016 für unzureichend. Er fordert, die Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst aus 2015 und 2016 für die Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie alle Beamtinnen und Beamten zu übertragen.

 

1.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 5. Mai 2015 (2 BvL 17/09 u.a.) festgestellt, dass das Alimentationsprinzip den Dienstherrn verpflichtet, Richter und Staatsanwälte sowie ihre Familien lebenslang angemessen zu versorgen und ihnen nach ihrem Dienstrang, nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung der rechtsprechenden Gewalt und des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren. Im Rahmen dieser Verpflichtung zu einer dem jeweiligen Amt angemessenen Alimentierung hat der Gesetzgeber die Attraktivität der Dienstverhältnisse von Richtern und Staatsanwälten für überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte, das Ansehen des Amtes in den Augen der Gesellschaft, die vom Amtsinhaber geforderte Ausbildung und seine Beanspruchung zu berücksichtigen (BVerfG, Urteil vom 5. Mai 2015, 2 BvL 17/09 u.a., Rn. 93).

Das Bundesverfassungsgericht hat erklärt, dass es aufgrund des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht seine Aufgabe ist zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung gewählt hat (BVerfG a.a.O., Rn. 94 und Rn. 95). Aus diesem Grund haben sich die Karlsruher Richter ausdrücklich darauf beschränkt zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen eine Besoldung evident unzureichend ist. Allein zur Begründung einer evidenten Unteralimentation hat das Bundesverfassungsgericht die bekannten und im vorgelegten Gesetzentwurf zitierten Parameter entwickelt. Aufgrund der unmissverständlichen Darlegung des Bundesverfassungsgerichts belegt die Beachtung der entwickelten Parameter gerade nicht, dass die Besoldungsentscheidung des Gesetzgebers gerecht, richtig und damit amtsangemessen ist, sondern nur, dass sie nicht ohne Weiteres als evident verfassungswidrig einzustufen ist.

Diese Grundsätze beachtet der vorgelegte Gesetzentwurf nicht.

Die Entwurfsverfasser untersuchen zuvörderst, ob die vom Bundesverfassungsgericht als Untergrenze für eine evident verfassungswidrige Besoldung statuierten Parameter noch eingehalten werden. Inwieweit die Alimentation dieser Berufsgruppen der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und der Bedeutung der rechtsprechenden Gewalt für die Allgemeinheit gemessen an der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards gerecht wird (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 93), erörtert der vorgelegte Gesetzentwurf nicht einmal im Ansatz. Damit bleibt der Landesgesetzgeber seiner Aufgabe schuldig, überhaupt eine eigene ausdrückliche Entscheidung über eine amtsangemessene Alimentation von Richtern und Staatsanwälten zu treffen.

2.

Die – bislang im vorgelegten Gesetzentwurf unterbliebene – inhaltliche Auseinandersetzung führt zu der Schlussfolgerung des Hessischen Richterbundes, dass eine Besoldungserhöhung um nur ein Prozent den Richtern und Staatsanwälten eine amtsangemessene Besoldung versagt.

a)

Die Besoldung von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten bleibt hinter der allgemeinen Lohnentwicklung zurück. Eine Besoldungserhöhung um nur ein Prozent würde die Schere zur allgemeinen Einkommensentwicklung noch vergrößern. Da die Erhöhung um ein Prozent erst zum 1. Juli 2016 gelten soll, würde die Besoldung im Jahr 2016 außerdem real nur um 0,5 % anwachsen.

Hinzu kommt, dass sich die reale Erhöhung um 0,5 % für das Jahr 2016 aufgrund der Kürzungen im Bereich der Beihilfe in einem Gros der Fälle nicht oder nur marginal auswirken könnte: Erst Ende 2015 wurde die Hessische Beihilfeverordnung (HBeihVO) durch die 13. Verordnung zur Änderung der HBeihVO geändert und ein Anspruch auf bestimmte stationäre Wahlleistungen (z.B. Unterbringung im Zweibettzimmer) gestrichen. Diese können nunmehr nur durch eine monatliche Zahlung von 18,90 Euro „erkauft“ werden. Allein diese Kürzung entspricht im Bereich der R 1 – Besoldung je nach Altersstufe rund 0,5 % der Bruttobezüge.

b)

Die Abkopplung von der allgemeinen Lohnentwicklung ist für Richter und Staatsanwälte zudem vor dem Hintergrund zu betrachten, dass ihre Besoldung ohnehin – nicht zuletzt im Rhein-Main-Gebiet – von den Gehältern anderer juristischer Berufe weit entfernt ist. Die Besoldung ist ein nicht unmaßgeblicher Faktor für das Ansehen einer Tätigkeit in den Augen der Gesellschaft. Nach der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts muss der Gesetzgeber das bei seinen Besoldungsentscheidungen berücksichtigen. Damit die Wahl für eine Tätigkeit als Richter oder Staatsanwalt für überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte attraktiv ist, muss sich die Alimentation auch durch ihr Verhältnis zu den Einkommen bestimmen, die für vergleichbare und auf der Grundlage vergleichbarer Ausbildung erbrachte Tätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes erzielt werden (BVerfG a.a.O., Rn. 114).

Diese Kriterien beachtet der vorgelegte Gesetzentwurf nicht.

Dabei ist zudem zu bedenken, dass die Anforderungen an Richter und Staatsanwälte in den letzten Jahren erheblich angestiegen sind: Die Ermittlungs- und Gerichtsverfahren sind deutlich komplexer, umfangreicher und schwieriger geworden. Aktuell ist durch den Zustrom von Flüchtlingen deutlich geworden, dass eine funktions- und leistungsfähige Justiz für unser Gemeinwohl unabdingbar ist. Gleichzeitig hat die Belastung der Richter und Staatsanwälte in beträchtlichem Maße zugenommen und es wurden und werden Stellen gestrichen.

Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wird die schon jetzt unübersehbare Unzufriedenheit unter hessischen Richtern und Staatsanwälten weiter zunehmen. Der verantwortungsvolle Beruf des Richters oder Staatsanwaltes wird weiter an Attraktivität verlieren. Unter männlichen Bewerbern ist das bereits messbar der Fall: Obwohl die Hälfte der besten Absolventen männlich ist, bewirbt sich in Hessen nur noch eine Minderheit von ihnen für den Justizdienst. Es sind also eher Frauen, welche die Mehrzahl unter den Teilzeitkräften darstellen, noch bereit, den Beruf der Richterin oder Staatsanwältin auszuüben, obwohl sie bei ihrer Qualifikation in anderen Berufsfeldern um ein Vielfaches höhere Einkünfte hätten. Der Landesgesetzgeber muss sich die Frage gefallen lassen, ob er die vergleichsweise geringe Besoldung von Richtern und Staatsanwälten auf Kosten weiblicher Leistungsträger durchsetzt.

Hessen braucht gute Richter und Staatsanwälte. Sicherheit und Gerechtigkeit können ohne eine funktionierende Justiz nicht bestehen. Sie ist ein Standort- und Wirtschaftsfaktor. Eine schlecht ausgestattete und damit schwache Rechtspflege begünstigt das Erstarken von Paralleljustizen. Bürgerinnen und Bürger verlangen zu Recht eine leistungsfähige und starke Justiz. Rechtssuchende erwarten, auf fachlich gute und persönlich ausgewogene Richterpersönlichkeiten zu treffen. Eine gute Leistung ist aber nur durch eine angemessene Besoldung zu erhalten.

Da Deutschland bei den Richtergehältern europaweit im unteren Bereich angesiedelt ist, hat der Europarat Deutschland schon im Jahr 2009 aufgefordert, die Einkommen der Richter und Staatsanwälte anzuheben (Entschließung des Europarates Nr. 1685 (2009)).

c)

Die Tarifergebnisse des öffentlichen Dienstes müssen auf die Besoldung der Richter und Staatsanwälte sowie sonstiger Beamter übertragen werden. Das sind 2,4 % seit April 2016 zuzüglich 2 % seit März 2015 wegen der Besoldungsnullrunde im Jahr 2015.

Die Art und Weise, wie in Hessen die Beamtenbesoldung von den Tarifabschlüssen des öffentlichen Dienstes abgeschnitten wird, ist bundesweit ohne Beispiel: Hessen ist das einzige Bundesland, das in 2015 eine Besoldungsnullrunde eingeführt hat. Im Jahr 2016 haben alle anderen Bundesländer Besoldungserhöhungen von mindestens 2 % festgelegt. Selbst in den Bundesländern, die keine oder nur eine zeitversetzte wirkungsgleiche Übertragung der Tarifergebnisse im öffentlichen Dienst vorsehen, ist die Beamtenbesoldung den Tarifabschlüssen einigermaßen vergleichbar.

Laut Bundesverfassungsgericht dürfen die Tarifergebnisse bei der Festsetzung der Beamtenbesoldung nicht in einer über die Unterschiedlichkeit der Entlohnungssysteme hinausgehenden Weise außer Betracht gelassen werden. Wird bei einer Gegenüberstellung der Besoldungsentwicklung mit der Entwicklung der Tarifergebnisse im öffentlichen Dienst eine Abkoppelung der Bezüge der Amtsträger hinreichend deutlich sichtbar, ist dies mit der von Verfassung wegen gebotenen Orientierungsfunktion der Tarifergebnisse für die Besoldungsanpassung unvereinbar (BVerfG a.a.O., Rn. 100). In Hessen ist aber genau dies geschehen: Die Besoldung ist den Tarifergebnissen seit dem Jahr 2013 nicht mehr gefolgt; spätestens seit der Besoldungsnullrunde in 2015 ist die Besoldungsentwicklung von den Tarifabschlüssen vollends abgekoppelt.

Das Richter- und Beamtenverhältnis beruht auf einem wechselseitigen lebenslangen Treueversprechen. Der Dienstherr bricht dieses Treueversprechen, wenn er die dem Verfassungsverständnis zugrunde gelegte Anbindung der Beamtenbesoldung an die Tarifergebnisse im öffentlichen Dienst aufkündigt. Die negativen Fernwirkungen dieser Politik werden beachtlich sein.

3.

Der vorgelegte Gesetzentwurf ist nach der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2015 nicht verfassungskonform: Der Gesetzgeber ist gehalten, schon im Gesetzgebungsverfahren die Fortschreibung der Besoldungserhöhung zu begründen. Die Ermittlung und Abwägung der Faktoren für eine verfassungsrechtlich gebotene Besoldungsanpassung müssen sich in einer entsprechenden Darlegung und Begründung im Gesetzgebungsverfahren niederschlagen. Eine nur nachträgliche Begründung einer bereits getroffenen Entscheidung genügt diesem Prozeduralisierungserfordernis nicht (vgl. BVerfG a.a.O., Rn. 129). Genau diese nachträgliche Begründung einer bereits gefassten Besoldungsentscheidung liefert der vorgelegte Gesetzentwurf: Der Koalitionsvertrag der Hessischen Landesregierung sah schon Ende 2013 für das Jahr 2015 eine Besoldungsnullrunde für Beamte und Richter vor sowie ab 1. Juli 2016 die nunmehr vorgelegte feste Erhöhung um ein Prozent pro Jahr.

4.

Die sog. Schuldenbremse aus Art. 141 Abs. 1 der Verfassung des Landes Hessen kann nicht als Grund für eine Versagung einer angemessenen Besoldungserhöhung herhalten. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in der zitierten Entscheidung klargemacht, dass allein die Finanzlage der öffentlichen Haushalte oder das Ziel der Haushaltskonsolidierung den Grundsatz der amtsangemessenen Alimentierung nicht einzuschränken vermögen. Andernfalls liefe die Schutzfunktion des Art. 33 Abs. 5 GG ins Leere (BVerfG a.a.O., Rn. 127 m.w.N.). Es gehört zu den Kernaufgaben des Landes, die für unser Gemeinwesen wichtige Justiz personell und sachlich hinreichend auszustatten und ihr Personal angemessen zu entlohnen. Das muss politischen Prestigeprojekten, wie zum Beispiel dem Bau eines Flughafens, der kaum angeflogen wird, oder anderen fehlgeleiteten Förderprojekten in jedem Fall vorgehen.

Auch hier ist das Bundesverfassungsgericht zu zitieren, das festgestellt hat, dass das besondere Treueverhältnis Richter und Beamte nicht verpflichtet, stärker als andere zur Konsolidierung öffentlicher Haushalte beizutragen (BVerfG a.a.O., Rn. 127). Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wird von den Richtern, Staatsanwälten und sonstigen Beamten aber ein Sonderopfer verlangt, denn sie stehen Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst bei der Anpassung ihrer Entlohnung erheblich nach. Es ist daher anzunehmen, dass Haushaltseinsparungen auf Kosten desjenigen Personals erreicht werden sollen, das sich mangels Streikrechts nicht in gleicher Weise zur Wehr setzen kann. Ein ehrlicher und willkürfreier Gesetzgebungsprozess hätte hierzu einer öffentlichen Debatte bedurft. Dabei wäre zu begründen gewesen, wie bei Steuermehreinnahmen von 400 Millionen Euro in 2015 und 260 Millionen Euro in 2016 diese einseitige Schlechterstellung von Richtern, Staatsanwälten und sonstigen Beamten gerechtfertigt sein kann.