Neuregelung der Zuständigkeiten in Folge der Entscheidung des BVerfG zum Richtervorbehalt bei Fixierungen

Stellungnahme des Richterbundes Hessen zu dem Entwurf einer Neuregelung in der Justizzuständigkeitsverordnung in Folge der Entscheidung des BVerfG zum Richtervorbehalt bei Fixierungen

Der Richterbund Hessen begrüßt, dass im Rahmen der Zuständigkeit des Landesgesetzgebers zeitnah auf die neuen verfassungsrechtlichen Anforderungen reagiert werden soll und in diesem Rahmen die Belastung in der Justiz gleichmäßiger verteilt werden soll. Der Richterbund Hessen kritisiert aber, dass für die Pool-Lösung und die Zuständigkeitskonzentration keine Begründung gegeben wird und die hierzu vorhandenen gegenläufigen Argumente nicht transparent gegeneinander abgewogen werden.

Der Richterbund Hessen begrüßt ferner, dass das Hessische Ministerium der Justiz einen Bedarf von mindestens 18 zusätzlichen R1-Stellen und 18 zusätzlichen nachgeordneten Stellen anerkennt. Der Richterbund Hessen fordert aber auch eine hierzu im Verhältnis stehende Anzahl von R2-Stellen zu schaffen. Der Richterbund Hessen weist darauf hin, dass kurzfristig insgesamt eine Quote von mindestens Pebb§y 100% anzustreben ist, auch um unvorhergesehenen Mehrbedarf an Personal aufgrund geänderter verfassungsgerichtlicher Vorgaben kurzfristig ohne Einbußen bei der Leistungsfähigkeit der Justiz aufzufangen.

Im Einzelnen:

I. Allgemeines

Das Bundesverfassungsgericht hat am 24.07.2018 (Az.: 2 BvR 309/15 und 502/16) entschieden, dass Fixierungsmaßnahmen (jedenfalls 5- bzw. 7-Punkt-Fixierungen) von nicht nur kurzfristiger Dauer, die im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung nach den jeweiligen Landesgesetzen (PsychKG, UBG) erfolgen, dem Richtervorbehalt unterliegen. Um den Schutz des von einer freiheitsentziehenden Fixierung Betroffenen sicherzustellen, bedarf es eines täglichen richterlichen Bereitschaftsdienstes, der den Zeitraum von 6:00 Uhr bis 21:00 Uhr abdeckt.

Aus dem Urteil ist ein dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf erwachsen.

Insofern ist uneingeschränkt zu begrüßen, dass im Rahmen der Zuständigkeit des Landesgesetzgebers Zuständigkeitsregelungen für Fixierungen im Rahmen von Unterbringungsmaßnahmen geschaffen werden sollen und in diesem Rahmen die Belastung in der Justiz gleichmäßiger verteilt werden soll.

II. Zuständigkeitsregelungen im Einzelnen

Zur „Poollösung“ nach § 3 Abs. 1 des Entwurfes gibt der Richterbund Hessen zu Bedenken, dass diese zu einer deutlichen Mehrbelastung der Pool-Gerichte bzw. der dortigen Kolleginnen und Kollegen führen wird. Bei den Pool-Lösungen werden lange Anfahrtswege entstehen, die unter Umständen nur durch die kostenintensive Inanspruchnahme privater Taxi-Dienstleister zu bewältigen sein werden. In rechtlicher Hinsicht stellt sich damit auch die Frage, ob wegbedingte Verzögerungen bei der Anhörung „sachliche Gründe“ sind, die nach der Rechtsprechung des BVerfG die gebotene Anhörung noch als unverzüglich erscheinen lassen. Dasselbe gilt, wenn sich die Anhörung verzögert, weil eine Kollegin oder ein Kollege zunächst unaufschiebbare Dispositionen (insbesondere Organisation einer Kinderbetreuung) im privaten Bereich zu treffen hat, um der verfassungsrechtlich verankerten Aufsichts- und Fürsorgepflicht gegenüber den eigenen Kindern zu entsprechen.

Aus Sicht des Richterbundes Hessen spricht dagegen nichts gegen eine Zuständigkeitskonzentration bei großen Amtsgerichten, wie sie in § 3 Abs. 2 und Abs. 3 für die Amtsgerichte Fulda und Frankfurt am Main vorgesehen ist. Diese muss allerdings an die Voraussetzung gebunden sein, dass die Fixierungsentscheidungen auf personell gut ausgestattete, spezialisierte Abteilungen (wie beispielsweise bereits bei dem Amtsgericht Frankfurt am Main eingerichtet) übertragen werden, um einerseits sicherzustellen, dass sich eine hinreichende Professionalisierung des Geschäftsbetriebs im richterlichen Eildienst, der durchweg grundrechtssensible Entscheidungen zum Gegenstand hat, herausbildet und andererseits der Dienstbetrieb der ohnehin stark belasteten großen Amtsgerichte in den anderen Bereichen der Rechtspflege nicht weiter leidet.

Vor diesem Hintergrund bedauert der Richterbund Hessen, dass der Landesgesetzgeber bislang für die Pool-Lösung und die Zuständigkeitskonzentration bei bestimmten Amtsgerichten keine Begründung gegeben hat (z.B. Amtsgericht Wiesbaden), andere, aufgrund der Größe der Amtsgerichte naheliegende Zuständigkeitskonzentrationen nicht behandelt (z.B. Amtsgericht Darmstadt) und die hierzu vorhandenen gegenläufigen Argumente nicht transparent gegeneinander abgewogen werden. Zwar ist verfassungsrechtlich umstritten, ob Rechtsverordnungen einer förmlichen Begründung bedürfen (vgl. näher Maunz/Dürig, GG, 85. EL (2018), Art. 80 Rn. 131 m. w. N. zum Streitstand), unabhängig davon ist angesichts der wesentlichen Bedeutung der Regelung für die persönliche Amtsführung jeder Kollegin und jedes Kollegen und der allseits zu verspürenden Unsicherheit beim Thema richterlicher Eildienst eine transparentere Debatte notwendig. Dabei treibt die Richterschaft insbesondere die Frage um, ob nicht alle Richterinnen und Richter in Hessen gleichmäßig an den richterlichen Eildiensten im gleichen Maß zu beteiligen sind. Eine beim Thema richterlicher Eildienst bereits eintretende Spaltung der Richterschaft bei Amts- und Landgerichten zu vermeiden, sollte eines der Ziele der Landesjustizverwaltung sein.

Neue gesetzliche Lösungen sollten insbesondere alle Argumente, die für und gegen die vorgeschlagene Poollösung und die Zuständigkeitskonzentration sowie für und gegen eine Einbeziehung aller Richterinnen und Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Hessen, einschließlich derjenigen der Landgerichte und des Oberlandesgerichts, transparent gegeneinander abwägen und die praktischen Folgen des jeweiligen Modells sowie die erforderlichen Organisationsmaßnahmen (z.B. Stellenverschiebungen von „kleinen“ zu den Amtsgerichten, bei denen die Zuständigkeit konzentriert wird). Diesen Anforderungen entspricht der Referentenentwurf nicht. Er enthält überhaupt keine Begründung zu den vorgenannten Fragen, insbesondere nicht zu der Bestimmung der Zuständigkeiten oder zur Beibehaltung des Status quo in Bezug auf die ausschließliche Beteiligung der Amtsrichter am Eildienst in Fixierungssachen.

Bemerkenswert ist im Zusammenhang mit der Zuständigkeitsbestimmung noch, dass die Zuordnung der Fixierungssachen Bedeutung auch für die Bemessung des Personalbedarfs hat, weil die Pebb§y-Basiszahlen unterschiedlich hoch sind. Werden die Fixierungssachen den Amtsgerichten zugewiesen, sind diese dem Pebb§y-Geschäft RA 360 mit einer Basiszahl von 104 Minuten zuzuordnen. Werden die Fixierungssachen dagegen den Landgerichten zugewiesen, sind diese dem Pebb§y-Geschäft RL 220 mit einer Basiszahl von 219 Minuten zuzuordnen. Ein sachlicher Grund für diese Unterscheidung ist nicht erkennbar.

III. Stellensituation

Der Richterbund Hessen begrüßt, dass das Hessische Ministerium der Justiz einen Bedarf von mindestens 18 zusätzlichen R1-Stellen und 18 zusätzlichen nachgeordnete Stellen anerkennt. Der Richterbund Hessen fordert neben einer sehr zeitnahen Besetzung dieser zusätzlichen Stellen aber auch eine hierzu in angemessenem Verhältnis stehende Anzahl von R2-Stellen zu schaffen. Der Richterbund Hessen weist darauf hin, dass kurzfristig insgesamt eine Quote von mindestens Pebb§y 100% anzustreben ist, auch um unvorhergesehenen Mehrbedarf an Personal aufgrund geänderter verfassungsgerichtlicher Vorgaben kurzfristig ohne Einbußen bei der Leistungsfähigkeit der Justiz aufzufangen.

IV. Beschlusslage des Richterbund Hessen

Der Gesamtvorstand des Richterbund Hessen hat am 5. September 2018 folgenden Beschluss gefasst:

1. Der durch die Entscheidung des BVerfG zur richterlichen Eilzuständigkeit von Fixierungen als ärztliche Maßnahme entstehende Mehrbedarf an richterlichem Personal muss in vollem Umfang durch neu zu schaffende Stellen ausgeglichen werden, ohne dass dies zulasten der bereits durch den Landesgesetzgeber bewilligten Mehrstellen geht.

2. Der richterliche Bereitschafts- bzw. Eildienst muss – wie bei anderen Berufsgruppen, die Bereitschafts- bzw. Eildienste leisten – in vollem zeitlichem Umfang in die Pebb§y-Berechnungen einfließen und übernommen werden ohne Rücksicht auf das zahlenmäßige Fallaufkommen. Das heißt eine Stunde Bereitschafts- bzw. Eildienst muss 60 Pebb§y-Minuten entsprechen.

3. Die Ausweitung der richterlichen Bereitschafts- und Eildienste geht zulasten der rechtsprechenden Tätigkeit in der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, alle Möglichkeiten zu nutzen, richterliche Eilzuständigkeit in der dienstfreien Zeit auf das verfassungsmäßig zwingend gebotene Maß zu begrenzen.

4. Wir fordern die Landesjustizverwaltung auf, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass die Kolleginnen und Kollegen durch richterliche Eildienste nicht übermäßig belastet werden. Dies gilt insbesondere für kleine Amtsgerichte. Andernfalls sieht der Richterbund Hessen eine große Gefahr für die Vereinbarkeit von Familie und Richterberuf sowie die Attraktivität des Richterberufs im Hinblick auf die Nachwuchsgewinnung.

An dieser Beschlusslage hält der Richterbund Hessen auch im Rahmen dieser Stellungnahme fest.

Dr. Daniel Saam, Landesvorsitzender

Dr. Johannes Schmidt, Stellvertretender Landesvorsitzender