Veranstaltungsbericht: Die dritte Gewalt unter digitalem Anpassungsdruck

Diskussion über den Einfluss von legal tech auf die Zukunft der Justiz

Am 29. November 2019 fand im Haus am Dom in Frankfurt im Rahmen der jährlichen Mitgliederversammlung des Richterbundes Hessen eine Podiumsdiskussion zu dem Thema legal tech in der Justiz statt. Es ging um die Fragen, ob die Justiz unter digitalem Anpassungsdruck stehe und wie sich legal tech auf die Zukunft der dritten Gewalt auswirke. Unter den Besuchern der Veranstaltung waren unter anderem drei Vizepräsidenten des Hessischen Landtags, der hessische Justizminister a. D. Jörg-Uwe-Hahn, zahlreiche Gerichtspräsidenten und Vertreter der Rechtsanwaltschaft.

Dr. Daniel Saam begrüßte letztmalig als Vorsitzender des Richterbundes Hessen die Gäste. Er beschrieb den bereits bemerkbaren digitalen Anpassungsdruck auf die Justiz u.a. durch den niederschwelligen Rechtszugang, den legal tech-Unternehmen bieten, und durch die enormen Datenmengen, die z. B. in Wirtschaftsstrafsachen auszuwerten sind.

Hessens Justizministerin Eva-Kühne Hörmann betonte in ihrem anschließenden Grußwort, dass ein Rechtsstaat ohne Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die diesen ausfüllten, nur eine leere Hülle darstelle. Eine starke Interessenvertretung wie der Richterbund Hessen sei für die Justiz auch deshalb von großer Bedeutung. Bezogen auf das Thema der Veranstaltung teilte sie mit, dass der Landeshaushalt 2020 weitere Gelder für Ausstattung und Digitalisierung in der Justiz vorsehe. Masseverfahren könnten nicht weiterhin mit den hergebrachten Methoden geführt werden. Es sei vielmehr eine inhaltliche Debatte nötig, wo der Einsatz von legal tech innerhalb der Justiz verantwortbar sei, ohne dass die Justiz Schaden nehme.

Im Rahmen eines einleitenden Vortrags befand Michael Grupp, Gründer und Geschäftsführer der Bryter GmbH und Mitglied der Taskforce Legal Tech im Deutschen Anwaltverein, dass die Justiz flexible Budgets und schnelle Entscheidungswege benötige. Sie müsse sich auf die Rechtssuchenden statt auf das Recht konzentrieren, um mit der rasanten technischen Entwicklung Schritt halten zu können. Eine elektronische Akte sei ohne breiten Praxiseinsatz und Rückmeldungen von den Anwendern nicht zu entwickeln. Um Freiraum für Ideen zu geben seien Anreize für Richter und Staatsanwälte wie mehr Freizeit und andere Fallbearbeitungszahlen nötig.

Sodann begann die Podiumsdiskussion unter Leitung von Rechtsanwältin Dr. Annette Schunder-Hartung, die durch ihre Fragen unterschiedlichste Blickwinkel auf das Thema Zukunftsfähigkeit der Justiz eröffnete. Teilnehmer waren Prof. Dr. Roman Poseck, Präsident des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main und Präsident des Hessischen Staatsgerichtshofs, Prof. Dr. Reinhard Gaier, Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D. sowie Oskar de Felice, Legal Counsel der Flightright GmbH.

Prof. Dr. Poseck betonte, die Digitalisierung biete Chancen und Risiken. Es habe zwar einen personellen Aufbau gegeben, dieser sei aber mit steigender Arbeitsbelastung einhergegangen und daher weiter unzureichend. Durch legal tech und Digitalisierung dürfe es nicht zur Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit und zur Entmenschlichung gerichtlicher Verfahren kommen.

Prof. Dr. Gaier wies darauf hin, dass die ZPO über 140 Jahre alt und nicht IT-tauglich sei. Es müsse eine neue, an die Bedürfnisse der Digitalisierung angepasste Prozessordnung im Zusammenwirken von Juristen und Informatikern entwickelt werden. Der Zugriff auf juristische Datenbanken erleichtere die Arbeit, aber es mangele an richterarbeitsplatzspezifischen Unterstützungen.

De Felice zeigte sich erfreut über die Diskussion, war aber der Auffassung, die Justiz könne mit dem Automatisierungsfortschritt nicht mithalten. Um Lösungswege aus dieser Situation zu finden, sei es erforderlich, dass die Justiz an der digitalen Entwicklung teilhabe, statt diese bloß hinzunehmen.

Dr. Christine Schröder, Pressesprecherin des Richterbundes Hessen